Für Alkoholiker-innen
Ich habe eine Mail einer lieben Dame beantwortet, und erlaube mir, die Antworten zu ihren Fragen hier zu publizieren, weil sie sicherlich vielen anderen Menschen auch helfen, die ähnlich Fragen haben.
Die Fragen werde ich nicht veröffentlichen, das ist auch nicht notwendig.
Wie ist ES gekommen, mit der Trinkerei, das ist eine gute Frage. Ich beziehe dieses ES auf das, was sich in mir breit gemacht hat, die Führung übernommen und mein Leben bestimmt hat.
Ein Dämon, eine Besetzung, eine falsche Idee, eine Vererbung, eine Übertragung eines Elternteils, etwas Vorgelebtes, ich habe heute, zum heutigen Tag 13.8.2019, keine Ahnung.
Vor ein paar Jahren war dieses ES noch ein Fremder für mich, einer über den ich keine Kontrolle hatte – daher auch das Wort „Kontrollverlust“, was die eigentliche Alkoholkrankheit auszeichnet.
Heute ist ES kein Fremder mehr, heute weiß ich, dass es sich wiederholende Muster an Gedanken und Taten sind. Gewohnheiten, die MAN abschaffen kann, indem man einfach oder nicht einfach, aber in dem man sich ein neues Gedanken-Leben „intensivst“ und mit aller Disziplin aufbaut. Raus aus der ganzen alten Geschichte, die sich auch ständig wiederholt, indem ich sage „ich bin eine trockene Alkoholikerin“. NEIN, sage ich heute, ich weiß, ich habe vieles in der Vergangenheit anders gesehen, aber heute habe ich mich weiter entwickelt. Nichts ist mit Alkoholikerin, Vergangenheit, aus Ende finito. Ich bin Petra, auch nicht Petra die Trockene, und was weiß ich (ich weiß, ich muss dies auf einigen Webseiten ändern). Ich bin Petra. Nichts mehr und nichts weniger!
Sucht entsteht auch nicht unbedingt und zwangsläufig durch das Suchen, wobei es bei mir immer noch stimmt. Doch das, was ich gesucht und auch gefunden habe, hat mich auf Dauer (24 Jahre später) nicht bis zur Gänze zufrieden gestellt. Es war ein Teil von mir, dieses ES, aber mehr der Ego -Anteil, ´wenn Du verstehst, wovon ich spreche. Dieses Ego ist bei Süchtigen, meiner Erfahrung nach, in eine völlig falsche Richtung gelenkt, und zwar in die Opferrichtung und in die „ich-bin-krank“ Richtung. Da hatte ich Glück, dieses ES damals zu enttarnen und ihm quasi den Kampf anzusagen. Raus aus der Opferhaltung, rein ins Leben. Wie gesagt, es hat mich viele Jahre trocken gehalten und begleitet. In den letzten Monaten kamen aber Gefühle in mir hoch, die mir zeigten, dieses Glück könnte unter Umständen nicht von Dauer sein. Rückfallgefahren drohten überall.
Somit sah ich mich im März dieses Jahres neuen Herausforderungen gegenübergestellt. Was zum Stand heute auch sehr gut war.
Ich habe jetzt 5 Monate „Arbeit“ hinter mir, viele Höhen und auch wieder Tiefen, in denen ich wirklich an den Grund meiner Existenz kam.
Nun bin ich dem wahren ES näher gekommen, ich bin auf dem Weg dahin. Ich weiß, wo es ist, und wie ich hin komme. Dieses ES, dieses Eins-Sein mit Allem-Was -Ist. Ich hoffe, Dir ist das jetzt nicht zu spirituell.
Ich bin auch heute noch für Alle da, an vielen Tagen zu viel, das merke ich aber in der Zwischenzeit und kann es abfangen, bevor alles wieder zu viel wird.
Ich bin auch hypersensibel, sauge auch alles wie in Schwamm auf, und das muss gelernt werden, damit umzugehen. Du wirst dies meiner Erfahrung nach nicht abstellen können, dieses Aufsaugen, es ist ein Teil von uns, von Dir, von mir, von vielen Menschen, heutzutage vor allem von den jungen Leuten.
Ich höre die Gedanken der Menschen. Der Menschen neben mir, auf der anderen Straßenseite, auf 500 km Entfernung. Wenn einer etwas sagt und ich höre was er denkt, sind dies meistens zwei völlig verschiedene Aussagen. Damit kam und komme ich auch schwer zu recht.
An guten Tagen, ist das Lachen echt, singt Johannes Oerding. Ja, damit kann ich etwas anfangen. An schlechten Tagen, sind die Tage einfach schlecht. Da hilft es nicht, dagegen anzukämpfen. Auch nicht gegen das hypersensibel sein. Es ist ein Geschenk, eine Gabe, die in den richtigen Kanal geführt werden muss. Es gibt wenige Menschen, die uns verstehen, das weiß ich, umso mehr müssen wir nach draußen gehen und uns zeigen, damit diejenigen, die uns brauchen, uns auch finden.
Der liebevolle Partner, Gott, ich freue mich für Dich. Schlussendlich ist man aber trotzdem alleine, immer. Es gibt keinen Anderen, der einem hilft, heute nicht und morgen nicht. Hilft beim Leben, nicht beim nicht-saufen, beim Leben.
Bei uns geht es um das Leben leben können und zwar aus einem tiefen Bedürfnis nach Frieden und Heiligkeit und Freude heraus.
Die meisten Menschen wollen doch so ein Leben gar nicht, deshalb verstehen sie uns auch nicht.
Perfekt sein, das gelingt sowieso nicht. Aber auch das muss gelernt werden, mit nicht-perfekt-sein umzugehen. Sich wertlos zu fühlen als Trinker ist schlimm, fürchterlich. Man macht und tut den ganzen Tag für andere Menschen, Kinder, Partner, Eltern Dinge, die im tiefsten Inneren einem widerstreben. Man weiß genau, dass in diesem Moment die eigene Reaktion und die eigene Aktion falsch sind und trotzdem wird weitergemacht. Warum? Wegen der Anerkennung. Nichts braucht ein Alkoholiker mehr als Anerkennung. Keiner fühlt sich wertloser als ein Trinker.
Wir strecken uns nach jeder noch so kleinen Anerkennung wie ein Gummiadler aus und freuen uns über jedes Schulterklopfen. Das ist fürchterlich. So zu leben ist vegetieren. Am Leben vorbeigelebt, steht dann mal auf dem Grabstein. Frau, Herr Soundso waren immer hilfsbereit, leider Trinker und haben am Leben vorbeigelebt.
Nein, dass geht anders und das will ich auch. Du vermutlich auch. Das Leben ist mühsam und anstrengend. Es wird nie anders sein, weil wir alle falsch leben. Von einem Ziel zum nächsten. Immer linear immer in Zeitabständen gerechnet, nie sind wir anwesend. Immer sind wir beim nächsten Moment, der hoffentlich besser ist, als der jetzige.
Aus diesem Irrsinn muss Mensch austreten, raus aus den alten Schuhen.
Was mir geholfen hat? Mein tiefes Vertrauen, dass alles gut ist. Dass jede Scheiße ihr Gutes hat. Und so ist und war es auch.
Keine Menschen, die können in die Tiefe nicht helfen. Das wirst du wissen. Finde den Teil von Dir, der ewig ist, der nicht trinkt, der liebt ohne Bedingung, der gibt ohne Bedingung. Der einfach ist.
Danke für Dein Vertrauen
Die Petra